Rosemarie Ackermann – “Wie im Rausch”

(leichtathletik.de, 13.09.07) Montreal-Olympiasiegerin Rosemarie Ackermann eröffnete dem Frauen-Hochsprung beim Internationalen Stadionfest (ISTAF) am 26. August 1977 in Berlin neue Sphären, als sie als erste Springerin 2,00 Meter überwand. Es war ein Doppel-Weltrekord, denn zuvor hatte die Leichtathletin schon mit 1,97 Metern ihre erste wenige Tage alte, in Rom (Italien) erzielte Bestmarke eingestellt.

Rosemarie Ackermann sprang mit der Straddel Technik (Wälzer) über die Hochsprunglatte. | Foto: George Herringshaw

Dabei war die in Lohsa in Sachsen geborene DDR-Sportlerin die letzte Hochspringerin von Weltklasse, die den sogenannten Straddle sprang. Alle anderen floppten bereits nach dem Vorbild von Dick Fosbury über die Latte.

Im Interview erinnert sich die jetzt 55-Jährige an jenen Sommertag vor 30 Jahren, an die Reaktion in der DDR auf ihren Rekordsprung und an den “Koffer” voller Prämiengeld, den sie jedoch nicht annehmen durfte.

“Als ich auf der Matte landete, habe ich die Hände vor dem Gesicht zusammen geschlagen, weil ich die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Das Gefühl war überwältigend. Es war wie im Rausch. Die herumstehenden Reporter stürmten direkt auf mich zu. Ich habe dann die Flucht nach vorne ergriffen und bin jubelnd durchs halbe Stadion gelaufen”, erzählt Rosemarie Ackermann, die am Sonntag (16. September) zum 70. Geburtstag des DKB-ISTAF auf Einladung der Veranstalter ins Olympiastadion zurückkehrt.

Frau Ackermann, es ist etwas mehr als 30 Jahre her, dass Sie als erste Hochspringerin die damals magischen zwei Meter überquert haben. Welche Erinnerungen haben Sie heute an den 26. August 1977?
Rosemarie Ackermann:
Das ist ein Tag, den ich nie vergesse. Meine Erinnerungen sind taufrisch, als wäre alles gestern passiert. Wir waren in Kienbaum im Trainingslager in Vorbereitung auf den ersten Weltcup in Düsseldorf. Das ISTAF sollte ein Aufbauwettkampf sein. Ich bin erst am Nachmittag mit zwei anderen DDR-Athleten über die Grenze nach West-Berlin gefahren. Dort bin ich mit zwei Rosen empfangen worden und man hat mir die Startnummer 20 gegeben. Das war ja schon ein Hinweis darauf, was man sich von meinem Start erträumte. Wenn ich heute das Olympiastadion betrete, brauche ich immer ein paar Minuten, um mich zu sammeln, denn dann läuft sofort der Film des Sprungs vor meinem inneren Auge ab.

Haben Sie denn damals damit gerechnet, dass Sie die zwei Meter an diesem Tag knacken könnten?
Rosemarie Ackermann:
Nein, ich bin da nicht mit den Gedanken hingefahren, jetzt springe ich die zwei Meter. Aber ich war ein absoluter Wettkampftyp und an diesem Tag lief alles perfekt. Ich stellte bei 1,97 Meter meinen Weltrekord ein und habe mir dann gesagt, irgendwann musst du auch mal die zwei Meter probieren.

Wie haben die 30.000 Zuschauer reagiert, als Sie um Punkt 20.14 Uhr zum Zwei-Meter-Sprung anliefen und wie bei ihren sechs Höhen zuvor gleich im ersten Versuch erfolgreich waren?
Rosemarie Ackermann:
Es war mucksmäuschenstill. Man hätte ein Stecknadel fallen hören können. Dann bin ich abgesprungen und ich merkte schon über der Latte, dass sie liegen blieb. Als ich auf der Matte landete, habe ich die Hände vor dem Gesicht zusammen geschlagen, weil ich die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Das Gefühl war überwältigend. Es war wie im Rausch. Die herumstehenden Reporter stürmten direkt auf mich zu. Ich habe dann die Flucht nach vorne ergriffen und bin jubelnd durchs halbe Stadion gelaufen.

Sie haben sich anschließend sogar noch an 2,02 Metern probiert.
Rosemarie Ackermann:
Ja, aber vergeblich. Mein Sprung über zwei Meter hatte den ganzen Zeitplan durcheinander gebracht. Als ich die 2,02 Meter dreimal gerissen hatte, bin ich gebeten worden, erst einmal aus dem Stadion zu gehen, damit die anderen Disziplinen fortgesetzt werden konnten.

Heute könnte man sagen, Sie sind mit einer alten Technik in eine neue Zeit gesprungen, denn Sie sprangen noch den Straddle, nicht den Flop.

Rosemarie Ackermann:
Ich würde das so nicht formulieren, denn der Straddle ist keine alte Technik, sondern eine wesentlich anspruchsvollere als der Flop. Ich kämpfe weiter für meinen Sprungstil. Man braucht aber einige Jahre, um den Wälzer, wie man auch sagt, zu beherrschen und ihn in Höhe umsetzen zu können. Ich glaube, man könnte die heute überquerten Höhen von 2,05 bis 2,09 Meter auch noch im Straddle springen. Aber der Flop kommt dem menschlichen Bewegungsdrang einfach näher, denn man muss den Anlauf nicht so abrupt abbrechen. Ich habe ihn auch mal probiert, bin aber nicht über 1,82 Meter hinaus gekommen.

Ging es nach dem Weltrekord eigentlich direkt zurück nach Kienbaum oder sind Sie noch eine Nacht in West-Berlin geblieben?
Rosemarie Ackermann:
Eigentlich sollte es direkt zurück gehen, doch wir wurden gebeten, noch ein wenig zu bleiben und uns der Presse zu stellen. Deshalb sind wir mit zum Abschlussfest auf einen Haveldampfer gegangen. Gemeinsam mit Dwight Stones aus den USA, dem Hochsprung-Sieger der Männer, legte ich noch einen Ehrentanz aufs Parkett. Anschließend sind wir über den Grenzübergang Friedrichstraße nach Kienbaum zurückgefahren.

Wie hat man in der Heimat auf Ihren Rekordsprung reagiert? Schließlich hatten Sie als DDR-Springerin im kapitalistischen Ausland eine Schallmauer durchbrochen.
Rosemarie Ackermann:
Die DDR-Presse ist davon offensichtlich total überrascht worden. Die ?Aktuelle Kamera’ meldete es zwar am Abend, doch die Bilder gab es erst später, weil sie erst eingekauft werden mussten. Ein DDR-Kamerateam war ja nicht mit beim ISTAF. Ich bin in dem Jahr dann ?DDR-Sportlerin des Jahres’ und ?Weltsportlerin des Jahres’ geworden.

Nun gab es auch schon damals Geld für Weltrekorde. Was ist aus Ihrer Prämie geworden, es sollen 10.000 D-Mark gewesen sein?
Rosemarie Ackermann:
Nach dem ISTAF kam jemand und wollte mir einen Koffer voller Geld übergeben. Doch ich durfte ihn nicht annehmen. Behalten durfte ich lediglich eine Brosche, die es bei der Siegerehrung gab und die von einem Sponsor zur Verfügung gestellt worden war. Auch den Tagessatz von 10 D-Mark durfte ich behalten. Zu Hause gab es dann eine Rekordprämie von 1.500 DDR-Mark.

Bedauern Sie eigentlich manchmal, dass Sie nicht in der heutigen Zeit aktiv sein konnten, in der man als Spitzensportlerin viel Geld verdienen kann?

Rosemarie Ackermann:
Nein. Damals war einfach eine andere Zeit und ich respektiere das. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Hätte, wenn und aber gibt es nicht. Ich möchte keinen Tag missen.

Heute sind Sie 55 Jahre alt, haben zwei erwachsene Söhne, leben in Cottbus und arbeiten in der Agentur für Arbeit. Wie viel Verbindung haben Sie noch zum Sport?
Rosemarie Ackermann:
Ich bin bei der Agentur für Arbeit Sachbearbeiterin im Bearbeitungsbüro für Arbeitgeberleistungen. Beruflich habe ich keine Berührungspunkte mehr mit dem Sport. Aber ich werde häufig noch erkannt, vor allem von Älteren. Und wenn ich Einladungen zu Sportveranstaltungen erhalte, gehe ich meist auch hin. Ansonsten läuft bei uns oft Sport im Fernsehen. Mein Mann war ja Handballer in der DDR-Oberliga. Wir sind immer noch große Sportfans.

Sind Sie denn manchmal noch selbst aktiv?
Rosemarie Ackermann:
Leider nur noch sehr selten. Ich habe mir mal die Achillessehne gerissen und später die Plantarsehne. Das sind wohl alles Nachwirkungen der vielen Jahre als Leistungssportlerin. Seitdem mache ich deutlich weniger.

Sie galten als Konzentrationskönigin, hatten vor jedem Wettkampf ein kleines Ritual und konnten das Drumherum ausblenden. Wie haben Sie das immer geschafft?
Rosemarie Ackermann:
Das ist ein Trick, den ich nicht verraten werde. Ich habe ihn mal für mich entdeckt und immer weiter verfeinert.

Sie haben in Ihrer Karriere vier neue Weltrekorde auf- und drei weitere eingestellt. Zudem wurden Sie 1976 Olympiasiegerin in Montreal (Kanada), 1974 in Rom (Italien) Europameisterin. Was war aus Ihrer Sicht bedeutender: der Olympiasieg oder der Weltrekordsprung über zwei Meter?
Rosemarie Ackermann:
Von der Leistung her sicher der Olympiasieg, aber wenn die Leute den Namen Rosemarie Ackermann hören, denken die meisten erst an die zwei Meter. Das hat sich auch bei mir so eingeprägt.

Wie kamen Sie eigentlich zum Hochsprung. Mit 173,5 Zentimetern haben Sie ja nicht unbedingt die ideale Größe für eine Hochspringerin?
Rosemarie Ackermann:
Wir mussten mich in den offiziellen Listen sogar immer um eineinhalb Zentimeter größer machen, denn 1,75 Meter war das Mindestmaß für eine Hochspringerin in der DDR. Sonst hätte ich das gar nicht sein können. Doch ich bin nie über 173,5 Zentimeter hinaus gekommen. Eigentlich wollte ich in den Sechziger Jahren zum Ballett gehen, hatte auch schon die Aufnahmeprüfung bestanden. Doch dann wurde die Ballettschule geschlossen, weil der Leiter verstorben war und ich habe mit Handball, Leichtathletik und Turnen begonnen. Als ich 1966 in der neunten Klasse war, fiel mein Hochsprung-Talent auf, weil ich mit 1,58 Metern Körpergröße 1,48 Meter hoch springen konnte. Die Hoffnung war damals immer, ich würde noch ein bisschen wachsen. Leider sind es aber nur 173,5 Zentimeter geworden.

Heute ist bekannt, dass es in der DDR-Staatsdoping gab. Wie ist das zu Ihrer Zeit gewesen. Mussten Sie Dopingmittel nehmen?
Rosemarie Ackermann:
Ich kann sagen, dass ich nie wissentlich gedopt habe. Ich bin bei internationalen Wettkämpfen sehr häufig zu Kontrollen ausgelost worden und bin nie positiv getestet worden.

Werden wir Sie denn den 70. Geburtstag des DKB-ISTAF am Sonntag im Stadion miterleben?
Rosemarie Ackermann:
Ja. Ich habe vor ein paar Tagen die Einladung angenommen und freue mich schon auf den Tag im Olympiastadion mit vielen schönen Erinnerungen.

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